Wer nicht berührt, der nicht verführt – neue Interfaces für unsere mobile Zukunft

Gastbeitrag von Tim Büsing

Tim Büsing ist Creative Director bei der Digitalagentur Reactive in Sydney. Er ist Redakteur bei Adverblog, einem der Top 30-Blogs über digitales Marketing und Werbung und schreibt zudem für AustralianInFront, Reactive blog und seinen eigenen Blog Between 0 and 1. Außerdem unterstützt Tim die Ausbildung in Digital-Design zum Beispiel an der University of Sydney, BillyBlue College of Design, oder der Tractor Design Schule.

 

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Either work hard or you might as well quit.

That’s word, because you know

You can’t touch this.

– MC Hammer

 

Verdammt… jetzt klingen mir wieder die Worte von Stanley Burrell (aka MC Hammer) in den Ohren. I can’t touch this! Ich bin auf einer Website, die sich einfach nicht betatschen lässt. Aber nicht weil ich vielleicht unförmige Wurstfinger besäße oder mein iPad irgendwelche Macken hätte. Meine Fingerkuppen sind ganz klar im durchschnittlichen Bereich, den Experten zwischen 30 und 45 Quadratpixeln angesiedelt haben. Und trotzdem klemmt gerade alles auf dieser Seite. Ich starre auf ein Popup Fenster, das ich mit einer Maus ganz einfach wegklicken könnte. Aber auf meinem iPad kriege ich es nicht weg und es kommt mir so vor, als würde sich der Ladenbesitzer mit aller Macht gegen seine Eingangstür stemmen. Als ob er verhindern wollte, dass ich bei ihm einkaufe. Ich könnte zwar auf die smartphone Version seiner Site wechseln, aber dort wäre mein Warenkorb wieder leer. Und das System wüsste gar nicht wer ich bin, da ich dort nicht eingeloggt bin. OK, das alles klingt wie ein typisches ‚first world problem‘ – und das ist es mit Sicherheit auch. Aber nichtsdestotrotz ist es ein Problem, dass vielen Usern im Online-Weg steht.

Seit Douglas Engelbart 1967 den Urtyp der Computermaus erfand, hat sich viel in Sachen Interface und Computer-Human-Interaction (CHI) getan. Nicht nur touch sondern auch Stimme, Mimik, Gesten, der ganze Körper und sogar schon Gehirnströme können vom Computer als Input verstanden werden. Tom Cruise bewegte sich schon 2002 im Film „Minority Report“ mit Hilfe eines Lichthandschuhs und gekonnten Armbewegungen durch sein kriminalistisches Videoarchiv. Aber nur wenige ahnten zu diesem Zeitpunkt, wie schnell diese Art der Interaktion im Mainstream ankommen würde. Microsofts ‚Surface‘ Computer (eine Art Laptop/Tablet Hybrid) zeigen eindrucksvoll wie User sofort das Keyboard vermeiden und zu ihrem bevorzugten Input übergehen, dem Touch. Studien zeigen, dass sie dies sogar dann tun, wenn Keyboard und Maus eine schnellere Eingabe ermöglichen würden (wie zum Beispiel bei längeren Formularen). Dieses Foto zeigt Surface User, wie sie den Bildschirm umklammern, um ihn wie einen Tablet mit ihren Daumen benutzen zu können*.

 

Photo by Jeffrey Riehle

 

Mittlerweile können unsere Gamekonsolen und Smart TVs mit so ziemlich allen menschlichen Sinnen gesteuert werden. Zeig dem Fernseher Deinen Mittelfinger und schon wechselt er den Kanal. Benutze Deine Stimme, um ihn auszuschalten und anschliessend Apple’s iPhone Assistentin Siri aufzuwecken. Oder zeig dem Samsung Galaxy Telefon einfach Dein Gesicht, um als Besitzer und User erkannt zu werden.

Bei diesem Tempo der Neuerungen ist es nachvollziehbar, wenn die Gestaltung von Webseiten etwas langsamer hinterherkommt. Und aus der eben beschriebenen Vielfalt von Inputs ergeben sich eben auch eine Vielfalt von Inhaltsstrukturen und möglichen Interface Designs. Woher weiß denn die Website, ob ein User nicht mitten in einer Session von Touch zu Mouse, Stimme oder Geste als Eingabe wechseln möchte? Zusätzlich verlassen viele e-Shopper das Telefon, auf dem sie eine Vorauswahl getroffen haben, um auf ihrem Laptop den Einkauf abzuschließen**. Aus diesem Grunde raten Interface Experten wie Josh Clark (Autor von ‚Tapworthy‘): ”If a device can be used for touch, it’s interface should be finger-friendly.” Aus visueller Sicht klingt das wie ein Aufforderung zu jeder Menge ‚BFB‘ (Big Fucking Buttons), einer etwas grobschlächtigen Zukunft des Webdesigns.

Nun soll ‚responsive design‘ viele dieser Probleme lösen. Das Design von responsiven Webseiten passt diese dynamisch der Bildschirmgrösse an, angefangen beim kleinsten smartphone bis rauf zum gigantischen Showroom touch screen. Dabei werden alle Bilder, Buttons, Videos und Texte und ihre Hierarchie untereinander beibehalten. Leider ist dieses Design trotzdem nicht die vollständige Lösung.

Was responsive design fehlt, ist eine unterschiedliche Ergonomie im Layout zu unterstützen. Die Eingabe per Stimme, Finger oder Bewegung erzeugt unterschiedliche Körperhaltungen und Entfernungen zum Bildschirm. User sind unterschiedlich schnell und motiviert. Navigation auf einem touch screen funktioniert eben besser am unteren, daumenfreundlichen Bildschirmrand. Ansonsten kann der eigene Arm den Inhalt verdecken.

Aber wollen wir den Usern mehrere Layouts desselben Inhalts anbieten und sie damit zwingen, sich immer wieder neu zu orientieren? Und wenn immer mehr Geräte mit immer neuen Bildschirmgrössen und multiplen Eingabemodi auf den Markt kommen: können wir uns all diese Optimierungen leisten?

Die einfache Antwort lautet: wir müssen es. User kümmern sich nicht darum, wieviel Arbeit, Mühe und Geld es kostet, sich diese Optimierungen auszudenken. Sie werden denjenigen belohnen, der sich die Arbeit gemacht hat und ihnen entgegenkommt, egal auf welchem Weg und mit welchem Gerät.

Womit wir wieder bei MC Hammer wären: After all, you’re working hard so you can touch this. And that’s very word!

 

Tim Büsing

 

P.S. Wer möchte kann sich dieses Thema auch in einem verkürzt-dramatisierten Vortrag ansehen. Als Teil von Ignite Sydney 2013 sprach Tim vor einem Web- und Marketing-Publikum über diese ’new interface challenges‘.

 

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* Mehr Bewegungsmuster von Händen und Fingern sind hier auf Josh Clarke’s blog zu finden:
http://globalmoxie.com/blog/desktop-touch-design.shtml

** Etsy.com zum Beispiel beobachtet einen desktop/mobil traffic split von 75/25, aber einen transaction split von 80/20. Das bedeutet, dass 20% der mobile user eine Transaktion lieber auf einem grösseren Rechner abschliessen.

 

 

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